"Aurelio" – ein neuer Lebenshof wird geboren
Von Bettina Ebner
Die Sonne strahlt mit Claudia und Beat Troxler an diesem kühlen Herbsttag um die Wette, als wir auf ihrem wunderschön gelegenen Hof im luzernischen Büron ankommen. Eine herzliche Begrüssung wartet auf uns – nicht nur von den Menschen, sondern auch von sechs sehr neugierigen Hühnern inklusive ihrem stolzen "Güggel" Raffi.
Die Tierliebe wurde Claudia Troxler in die Wiege gelegt. Schon von klein auf war für sie klar, dass Tiere treue Weggefährten sind und keine Nahrungsmittel.
Beat Troxler erzählt, wie Claudia mit "Chili", ihrer Deutschen Schäferhündin, jeden Sonntag das Fährtentraining auf seinem Grundstück besuchte. Sie parkierte ihr Auto auf seinem Bauernhof und beobachtete immer einige Minuten lang mit schwerem Herzen die Schweinchen, die dort lebten und geschlachtet wurden.
"Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen "Nutz"- und Haustieren – ich liebe alle Tiere gleichermassen".
Bei einem der Tiere war es wortwörtlich Liebe auf den ersten Blick, da es ganz besonders schöne Augen hat. Sie taufte es auf den Namen Felix – "der Glückliche". Wie treffend dieser Name ist, zeigte sich schon wenig später, als sie Beat das Glücksschweinchen abkaufen und zu Ivo Zürcher auf den Gnadenhof Hodel bringen durfte. Wenige Wochen nach dem Umzug von Felix besuchte Claudia mit Beat den kleinen Eber. Dort lernte Beat "Buci", einen Viszla-Mischlingsrüden, kennen, und es war
sofort klar, dass dieser einen liebevollen Lebensplatz an der Seite von Beat bekommen würde. Schon bald verband Claudia und Beat nicht mehr nur die Liebe zu ihren Hunden. Sie verliebten sich und Claudia zog im Oktober 2015 schliesslich zu Beat auf den Hof.
Natürlich durfte nun auch Felix wieder zurück auf ihren Hof und er bekam Gesellschaft von Schweinedame Nala. Die beiden sind nun zu stattlichen, rund 250 kg schweren Schweinen herangewachsen. Uns geht das Herz auf, als wir beobachten dürfen, wie sie genüsslich schmatzend frische Äpfel verspeisen. Schön zu sehen, wie gut es den beiden geht und was für ein "schweinisch" glückliches Leben sie haben.
Aurelio – ein süsses Kälbchen gibt dem Hof seinen Namen
Beat übernahm 2014 den elterlichen konventionellen Bauernbetrieb, aber er spürte immer mehr, dass das, was er den Tieren da antat, einfach falsch war. Vor allem der tägliche Anblick der Mastschweine lastete schwer auf ihm. Aber auch die verzweifelten Rufe der Kuhmütter nach ihren neugeborenen Kälbern verstummten nicht mehr in seinen Ohren. Und nicht zuletzt dank Claudia wurde die Idee von einem Lebenshof geboren und wird nun Schritt für Schritt umgesetzt.
"Tieren einen Lebensplatz zu schenken und sie bis an ihr Lebensende zu pflegen, erfüllt uns tief im Herzen".
Im Februar 2020 wurde Aurelio geboren. Er war das erste Kälbchen, das auf dem Hof bleiben durfte und nicht in die Mast musste. Schon kurz nach seiner Geburt zeigte sich leider, dass der Kleine massive gesundheitliche Probleme hatte. Sein linkes Ohr war viel kleiner, sein Hals schien steif zu sein und er hatte grosse Probleme mit dem Gleichgewicht. Doch Claudia und Beat gaben den süssen kleinen Kämpfer nicht auf und halfen ihm ins Leben zu finden. Es ging ihm täglich etwas besser und die Fortschritte waren deutlich zu sehen. Umso härter traf es die beiden, als sie Aurelio an einem Morgen Ende April tot im Stall fanden.
Um Gewissheit zu haben, warum der Kleine nur so kurz leben durfte, wurde er in der Veterinärpathologie in Zürich untersucht. Er hatte ein Loch in der Herzscheidewand, einen fehlenden Halswirbel und bei seinem kleinen Öhrchen war das Gleichgewichtsorgan verknöchert.
Claudia erzählt uns, dass Anna, die Mama von Aurelio, sich nur sehr ungern am Kopf anfassen lässt. Aber als sie von ihrem Kälbchen Abschied nahm, sei sie kurz ganz nah zu ihr gekommen und habe sich am Kopf streicheln lassen. Als ob sie sagen würde "danke, dass du dich so liebevoll um meinen Kleinen gekümmert hast".
Aurelios Schicksal führte ihn viel zu früh über die Regenbogenbrücke, aber in den Herzen von Claudia und Beat wird er für immer weiterleben.
Aurelios Tierpersönlichkeiten
Zurzeit leben auf dem Hof Aurelio rund 50 Rinder, Raffi, der Hahn, und seine 6 Damen, 7 wunderschöne Alpakas, die Hunde Buci und Chili und natürlich das lustige Schweinepaar Felix und Nala.
Wir dürfen sie alle fell- oder federnah erleben und es ist immer wieder berührend, wie zutraulich und liebevoll die Tiere auf den Lebenshöfen sind, wenn sie fernab der menschlichen Nutzung leben können. Selbst wir, für die Tiere völlig fremden Menschen, dürfen den Laufstall betreten, in dem die Mutterkühe mit ihren Kälbchen leben. Diese bleiben vertrauensvoll im warmen Stroh liegen, während uns ihre Mütter neugierig mit ihren grossen Augen anschauen und sich freuen, wenn sie ein Leckerli von uns bekommen.
Die immer hungrige Hühnerschar möchte auch gerne von unseren veganen Brötchen probieren, und hüpft ungeniert auf den Tisch, der im Hof aufgestellt ist. "Eigentlich dürfen sie das nicht", sagt Claudia, aber über so viel Schabernack müssen wir alle schmunzeln und geben ihnen noch so gerne etwas ab.
Die Alpakas blinzeln neugierig unter ihren beneidenswerten Wimpern hervor und möchten auch ihren Anteil an frischen Äpfeln. Sie kommen nicht aus schlechter Haltung, sondern leben auf dem Hof, weil man daran dachte, einmal mit mehreren Dutzend Tieren Alpakawolle zu produzieren. Die Tiere wechseln ihre Wolle nicht selbst, sondern müssen im Frühjahr geschoren werden. Die ersten Jungtiere, die geboren wurden, waren aber krank oder sie kamen sogar tot zur Welt. Deshalb gaben Claudia und Beat dieses Vorhaben auf und behielten die Tiere, ohne dass noch weitere geboren wurden.
Wie trägt sich der Hof Aurelio?
Den Traum eines Lebenshofs wahr werden zu lassen, ist zweifellos eine erfüllende und erstrebenswerte, aber auch eine sehr zeitintensive und finanziell anspruchsvolle Aufgabe. Allein die Liebe zu den Tieren reicht dafür nicht. Ein langer Atem und viel Durchhaltevermögen sind unerlässlich. Freizeit, Wochenende und Ferien kennen nur wir Menschen. Die Tiere wollen an jedem einzelnen Tag ihres Lebens versorgt werden – und das steht ihnen auch zu.
Die Augen von Beat glänzen, als er uns sagt, dass mit dem Ausstieg aus der Nutztierhaltung der ganze Druck wegfalle, die Tiere für unsere Zwecke ausbeuten zu müssen. Die Tiere als fühlende Lebewesen zu spüren und nicht nur als Ware, erfüllt Claudia und Beat sehr.
"Gerade am Anfang muss man ganz schön unten durch".
Die Umstellung von einem konventionellen Bauernbetrieb auf einen Lebenshof, geschieht nicht in einer Woche. Das ist ein sehr langer Prozess in dem Claudia und Beat gerade mittendrin sind. Von Anfang an unterstützt und begleitet werden sie dabei von Sarah Heiligtag vom Hof Narr in Hinteregg.
Zum Hof Aurelio gehören nebst den Ställen auch viele Hektaren Land, auf denen Beat Hafer anpflanzt. Zusammen mit der eigenen Wasserquelle bietet dies die Grundlage für eine eigene Hafermilchproduktion. Über ein Startup-Unternehmen wird die selbst produzierte Hafermilch im Abo an die Kunden verkauft oder kann natürlich auch direkt auf dem Hof bezogen werden. Ausserdem suchen die vier- und zweibeinigen tierischen Bewohner liebe Patinnen und Paten, die sie finanziell unterstützen möchten.
"Der Verkauf von selbst hergestellter Hafermilch und die Tierpatenschaften sollen langfristig den Hof tragen".
Auf der riesigen landwirtschaftlichen Fläche stehen ausserdem rund 130 Obstbäume, davon allein rund 90 Apfelbäume. Zukünftig sollen nicht nur die Hoftiere Äpfel mampfen dürfen. Die Obstverwertung in Form von Süssmost, verschiedenen Schnäpsen und weiteren Leckereien soll auch uns Menschen zugutekommen und zum Verkauf angeboten werden.
Die tiefe Liebe zu ihren Tieren merkt man dem herzlichen Paar bei jedem Wort und jeder Geste an. Sie haben sich aus voller Überzeugung zu diesem Schritt entschieden – für sich, für die Tiere und für ein kleines Stück näher an eine lebenswertere Zukunft für uns alle.
Glücklich und dankbar, dass sie uns einen Einblick in ihr Leben und das ihrer Tiere gewährt haben, verabschieden wir uns vorerst von den beiden. Wir sind tief beeindruckt von so viel Engagement.