"Qualzucht Stoppen" ist eine Petition der Tierrechtsorganisation "Tier im Fokus" kurz TIF. Die Petition wurde am 25. November 2021 mit 4.576 Unterschriften bei der Bundeskanzlei einreicht. ProTier unterstützte diese Petition, weil auch wir der Meinung sind, dass die heutigen Zustände in der Hühnermast untragbar sind. Auch wenn die Vision einer tierleidfreien Welt noch weit weg scheinen mag, ist jede Verbesserung, die wir heute für die Tiere in der Landwirtschaft erzielen können wertvoll und im Hinblick auf die Zukunft unabdingbar.

Sämtliche Texte und Bilder wurden von Tier im Fokus zur Verfügung gestellt.

Wieso wollen wir ein Verbot für Qualzuchten?

35 Tage – so kurz dauert das Leben eines Masthuhns im Schnitt.

Wegen ihres üppigen Brustmuskels können die Hühner ihr Gewicht kaum tragen, viele entwickeln Beinschäden. Bei anderen vermag das Herz den überdimensionierten Körper nicht mehr mit Blut versorgen und es kommt zu Herz-Kreislauf-Versagen.

Bis zu vier Prozent der Masthühner überleben die Strapazen der Mast nicht. Schuld daran ist die Zucht auf Hochleistung. Bei unseren Masthühner handelt es sich um Qualzucht-Hühnerrassen, die nicht überlebensfähig sind. 

Wir wollen Qualzuchten verbieten!

Das Wichtigste in Kürze

  • Hühner werden seit Jahrzehnten auf Hochleistung gezüchtet. Heute leiden sie unter zahlreichen zuchtbedingten Krankheiten wie Beinschäden oder Herz-Kreislauf-Problemen. Bis zu 4 Prozent der Masthühner sterben vorzeitig.
     
  • Die Hühner-Betriebe werden immer grösser. Die Zahl der Masthühner, die auf die Weide können, stagniert auf tiefem Niveau. Schweizer Hühner leben in Massentierhaltung.
     
  • Die Massentierhaltung begünstigt zahlreiche Tierseuchen. Die Vogelgrippe ist nur wenige Mutationen vom Überspringen auf den Menschen entfernt - mit potenziell zerstörerischen Auswirkungen auf unsere Zivilisation.
Hühnermast und Eierproduktion

Viele Leute glauben fälschlicherweise, dass Hühnerfleisch und Eier aus derselben Industrie stammen: Die Hennen legen Eier, die Hähne liefern Fleisch. Tatsächlich trennte sich in den 1950er- und 1960er-Jahren die Zucht für Masthühner und Legehennen, woraus völlig unterschiedliche Rassen entstanden: Bei den Masthühnern stehen die männlichen Eigenschaften (Fleischzuwachs) im Vordergrund, bei den Legehennen die weiblichen (Reproduktion). Die Masthühner werden also einzig für die Fleischproduktion aufgezogen, die Legehennen primär zur Eierproduktion.

Kulturgeschichte des Huhns

Das heutige Haushuhn stammt vom wilden Bankivahuhn aus Südostasien (Gallus gallus) ab. Sein schlanker Körper trug die Farben eines Rebhuhns. Das Federkleid wechselte von Kupferbraun bis Zimt, mit gelb­ orangen Einsprengseln. Die Hühner lebten im Dschungel und ernährten sich von Samen, Beeren und Kleintieren. (Kriener 2014)

Vor rund 5000 Jahren wurden Hühner domestiziert. Erste gesicherte Spuren stammen von der bronzezeitlichen Indus­Kultur im dritten Jahrtausend vor Christus. Auch in Phönizien, bei den Chaldaoi (ein antikes Volk im nördlichen Anatolien und in Armenien) und in Persien lebten Hühner in menschlicher Obhut. Sie dienten dem Menschen gleich mehrfach:

"Hühner lieferten Fleisch, Eier, Federn – und göttliches Licht", schreibt der Journalist Manfred Kriener. Der Hahn sei der Bote des Lichts gewesen, sein morgendlicher Schrei verkündete den Sonnenaufgang und rief die Menschen zu Arbeit und Gebet. (ebd.)

Später wandelte sich die Rolle des Huhns. Die antiken Griech*innen instrumentalisierten die Hähne als Kampfmaschinen. "Hahnenkämpfe sind so beliebt, dass sie von der Stadtverwaltung Athens organisiert werden", so Kriener. Bei den Römer*innen änderten sich die Prioritäten erneut: Zucht, Haltung und Fütterung gewannen an Bedeutung. Es entstanden unterschiedliche Rassen, die gezüchtet oder gekreuzt wurden. Erstmals wurden Hühner aus wirtschaftlichen Gründen gehalten – "2000 Jahre bevor der Effizienzterror in der industriellen Massenhaltung mündet", sagt Kriener. (ebd.)  In der Aufklärung stand die Optimierung der Tierhaltung bereits auf der Tagesordnung, doch Hühner spielten noch eine untergeordnete Rolle. Die Landwirtschaftsvereine des 19. Jahrhunderts konzentrierten sich auf Schweine und Rinder. Frauen waren bei diesen Vereinen ausgeschlossen – und doch sollte es eine Frau sein, die die industrielle Hühnerzucht ein läutete. (ebd.)

TIERZUCHT: ES REGIERT DER PROFIT

Im Jahr 1923 mästete Wilmer Celia Steele aus dem Küstenort Ocean View im US­ Bundesstaat Delaware 50 Masthühner. Als sie eines Tages Nachschub brauchte, wurden fälschlicherweise 500 Hühner geliefert. Steele verdiente gutes Geld damit und witterte ein Geschäft: Sie bestellte kurzerhand 1'000 Hühner, zwei Jahre später 10'000 – und 1935 waren es bereits 250'000. Steeles Aufstieg von der Hausfrau zur Hühnerbaronin begründete die industrielle Produktion. "Steele ist die Mutter der Massentierhaltung", so Journalist Manfred Kriener.

In den 1950er­ und 1960er­Jahren entstand schliesslich die Hybridzucht. Darin werden in der Regel vier sogenannte "Reinzuchtlinien" getrennt vermehrt (siehe untenstehende Grafik). Diese Reinzuchtlinien werden miteinander gekreuzt, woraus je eine Hennen­ und eine Hähnelinie entstehen. Die werden wiederum gekreuzt und es entstehen "Elterntiere", die als Küken in die Schweiz importiert werden. Deren Nachkommen – also die Urgrosskinder der reinrassigen Zuchttiere – werden schliesslich als Schweizer Masthühner aufgezogen.

Der Grund für dieses aufwändige Verfahren liegt in den Regeln der Genetik. Durch die Kreuzungen werden die Nachkommen leistungsfähiger als die Reinzuchtlinien (Heterosis­ Effekt). Das Resultat sind sogenannte Hybride, die sie sich nicht mehr zur Zucht eignen. (Gloor 2016) Für die Zucht­-Unternehmen hat das einen entscheidenden Vorteil: Die Mäster*innen müssen immer wieder neue Hühner bei ihnen beziehen.

Das globale Geschäft der Tierzucht wird heute von einer Handvoll internationaler Konzerne gesteuert. In der Zucht der Masthühner sind das Aviagen (GB), Cobb (USA), Hubbard (F) und Sasso (F). Diese kontrollieren den Genpool ihrer reinerbigen Zuchtlinien, die sie zuerst vermehren und dann in die ganze Welt verkaufen. Auch Schweizer Züchter*innen kaufen ihre Tiere von diesen Anbieter*innen. (Gloor 2016) Die Schweiz ist fast zu 100 Prozent von diesen globalen Zuchtgiganten abhängig – auch in der biologischen Hühnerproduktion, wie Bio Suisse auf Anfrage bestätigt. Für die Hühner bedeutet die Hybridzucht grössere Körper, schnelleres Wachstum, kürzeres Leben, identisches Aussehen und gesteigerte Fruchtbarkeit. Die Bäuer*innen konnten derweil die Gewinne pro Huhn steigern und die Anzahl der Hühner in der Mast massiv steigern. Unterstützt wurde der Wachstumskurs durch Fortschritte in der Tiermedizin: Impfungen und Antibiotika machten die intensive Produktion überhaupt erst möglich. (FAO 2008)

Die Kehrseite der Hochleistung

Der Zuchterfolg ist gewaltig. Legten die Hühner 1960 noch 20 Gramm Gewicht pro Tag zu, waren es 2011 bereits über 60 Gramm. Im Fokus der Zucht steht der Brustmuskel, der heute alleine einen Viertel des gesamten Körpergewichts ausmacht. Deswegen kommen Skelett und Organe der Tiere an ihre Grenzen. Masthühner leiden oft an Herz­-Kreislauf-­Problemen und Beinschäden.

Wenn die Masthühner "schlachtreif" sind, wiegen sie rund 2 Kilogramm und können kaum noch gehen, geschweige denn erhöhte Sitzmöglichkeiten anfliegen oder den Auslauf nutzen. Stattdessen liegen sie permanent auf dem oft feuchten Einstreu, weil sie ihr Gewicht nicht mehr tragen können. (Hörning 2013)

Um den Fleischzuwachs zu maximieren, wurde den Hühnern das Sättigungsgefühl weggezüchtet. So essen sie auch dann weiter, wenn sie längst satt sind. Ganz anders bei den Elterntieren: Da Mensch sie als Zuchttiere länger braucht, müssen sie vor Übergewicht geschützt werden. Denn je schwerer sie werden, umso höher ihre Sterblichkeit. In Tierversuchen, bei denen weiblichen Zuchttieren Nahrung frei zur Verfügung stand, starben 70 Prozent der Tiere. Und die übrigen waren nicht mehr fortpflanzungsfähig. Also werden die Elterntiere "restriktiv gefüttert", wie es in der Branche heisst. Sie erhalten 60 bis 80 Prozent weniger Nahrung und leiden so unter permanentem Hunger.

In der Folge werden die Hühner aggressiv und zeigen Verhaltensstörungen: Es kommt zu Federpicken oder gar Kannibalismus, stereotypem Picken und einer erhöhten Wasseraufnahme ("Übertrinken"). (Petrus 2011)

MASSENTIERHALTUNG IN DER SCHWEIZ

In der Werbung – und leider auch in den Köpfen vieler Konsumierenden – gackern die Hühner glücklich im Hinterhof. Von dieser Romantik bleibt in der Realität wenig übrig. Auch in der Schweiz sind Masthühner weitgehend von der Bildfläche verschwunden. Heute haben noch 8 Prozent der Hühner Zugang zur Weide. (Agrarbericht 2020)

Das Leben geniessen können die Hühner ohnehin nicht. Denn analog zum Anstieg der Nutzungsleistung schrumpfte auch die Nutzungsdauer. Masthühner werden heute bereits nach rund 36 Tagen geschlachtet. Das rechnet sich: Ein Betrieb kann so 7 bis 9 Mal pro Jahr neu belegt werden. (Gloor 2016)

Die Hühner leben in riesigen Hallen in monotoner Bodenhaltung. Pro Betrieb sind bis zu 27’000 Tiere erlaubt. (Art. 2 Abs. b HBV) Auf einem einzigen Quadratmeter leben bis zu 15 ausgewachsene Hühner. Und die Ställe werden immer grösser: Während die Zahl der Hühnermäster*innen seit dem Jahr 2000 bei rund 950 Betrieben verharrt (Agristat 2020), wächst die Zahl der Masthühner pro Bäuer*in stetig an. Waren es im Jahr 2000 noch 3589 Masthühner, erhöhte sich die Zahl bis 2019 auf mehr als das Doppelte (7328). Besonders stark gewachsen sind in dieser Zeit die grossen Betriebe mit über 8000 (+ 168 Prozent), über 12 000 (+ 1550 Prozent) resp. über 18 000 (+ 1533 Prozent) Hühnern, wenn auch auf tiefem Niveau. (BFS 2021)

Bei fast allen Nutztierarten sinken die Schlachtzahlen. Anders bei Masthühnern: Laut Branchenorganisation Proviande stieg die Zahl der in der Schweiz getöteten Hühner von 53 Millionen im Jahr 2010 auf über 73 Millionen im Jahr 2019. (Proviande 2020a) Das ist ein Wachstum von 38 Prozent. Zu den inländischen Schlachtzahlen kommen die Importe hinzu. Laut dem Schweizer Tierschutz (STS) sind das weitere 45 Millionen Hühner pro Jahr. (Huber 2018)

Wenige Player dominieren den Markt

Die Hühnerfleischproduktion funktioniert anders als die Schweine­ oder Rindfleischproduktion. Bei Masthühnern gibt es eine "vertikale Produktion", wobei ein Konzern die gesamte Wertschöpfungskette kontrolliert: von der Tierhaltung über die Schlachtung bis zur Verarbeitung und bisweilen auch den Vertrieb. Die Firma bestimmt die Wahl der Rasse, die Termine der "Einstallung" und Schlachtung sowie die Veterinärsperson. Die Bäuer*innen werden zu reinen Handlanger*innen der Konzerne degradiert. Auf Kosten der beruflichen Freiheit erhalten sie ein geregeltes Einkommen.

Auch in der Schweiz konzentriert sich der Markt auf wenige Player. Wer heute Hühner mästet, bezieht seine Tiere von Migros, Coop, Frifag oder Kneuss. Ihr jeweiliger Marktanteil beläuft sich auf 44 Prozent, 31 Prozent, 15 und 8 Prozent. (Aviforum 2020)

UNSERE KRITIK AN "BESONDERS TIERFREUNDLICHEN STALLUNGEN" (BTS)

In der Schweiz werden über 97 Prozent der Hühner in "besonders tierfreundlichen Stallungen" (BTS) gehalten. (Agrarbericht 2020) Dahinter steckt ein freiwilliges, sogenanntes Tierwohlprogramm des Bundes. Dieses verschärft die gesetzlichen Mindestanforderungen in der Tierhaltung und honoriert die Betriebe im Gegenzug mit zusätzlichen Steuergeldern. (BLW 2021)

Tier im Fokus (TIF) kritisiert das Tierwohlprogramm bei Masthühnern seit Jahren. BTS macht bei den wichtigsten Aspekten keine Vorschriften: der eingesetzten Rasse, der Anzahl Hühner pro Fläche und dem Auslauf. Auch in einer "besonders tierfreundlichen" Haltung leben also 15 Qualzucht­ Hühner auf einem Quadratmeter ohne Zugang zu einer Weide.

Der Aussenklimabereich (AKB), den die Hühnerindustrie beschönigend als "Wintergarten" bezeichnet, gilt als grösster Pluspunkt von BTS. Nur: Der AKB ist erst ab dem 21. Lebenstag vorgeschrieben – und ab dem 30. Lebenstag dürfen die Hühner bereits geschlachtet werden. (Anhang 7 DZV) Kommt hinzu, dass die Hühner in diesem Alter bereits viel zu schwer sind, um sich richtig bewegen zu können, weshalb bestenfalls einige Dutzend Hühner den AKB aufsuchen.

Kaum Tiernahrung aus der Schweiz

"Schweizer Fleisch" hat mit Swissness wenig am Hut. Die Hühnernahrung besteht zu 97.5 Prozent aus Kraftfutter und stammt zu über 80 Prozent aus dem Ausland. (Agristat 05/20) Eine Besserung ist nicht in Sicht: "In der Schweiz fehlen Ertragsstabilität und klimatische Voraussetzungen, um die Produktion von Eiweissfuttermitteln substanziell ausdehnen zu können", schreibt Christian Oesch (2017), Geschäftsführer der Vereinigung Schweizerischer Futtermittelfabrikanten. Besonders stark vom Ausland abhängig ist der Futterweizen – mit 42 Prozent der wichtigste Inhaltsstoff der Nahrung in der Hühnermast. (Gloor 2016) Der Futterweizen steht in direkter Konkurrenz zum Brotweizen, mit welchem sich allerdings bedeutend bessere Preise erzielen lassen. Als Folge sackte die inländische Produktion von über 250’000 Tonnen im Jahr 2006 auf 19’000 im 2016 ab. Die Futterweizen­Importe stiegen im selben Zeitraum von unter 50’000 auf über 250’000 Tonnen. Der Selbstversorgungsgrad beim Futterweizen betrug 2016 noch 19 Prozent. (Oesch 2017) Seither nahm er nur geringfügig zu, so Oesch auf Anfrage.

KEIME IM HÜHNERSTALL

Das Gedränge im Stall führt dazu, dass sich die (vorgeschriebene) Einstreu bald in eine Mischung aus Kot und Dreck verwandelt. Der Grund: Via Kot gelangen bei 10’000 Tieren rund 2’000 Liter Flüssigkeit in die Einstreu. Daraus können gesundheitliche Probleme entstehen, wie z. B. Dottersackinfektionen, Unterhautentzündungen und Darminfektionen mit dem Bakterium Enterococcus cecorum. Letzteres kann zu Lahmheit führen und ist unterdessen gegen Antibiotika resistent. (Pfeiffer & Gloor 2020) Helfen würde frische Einstreu, doch pro Mastperiode wird lediglich ein einziges Mal eingestreut.

Auch Darmkrankheiten gehören in der Hühnerindustrie zum täglichen Geschäft. Die Kokzidiose etwa dringt in den Magen­Darm­Trakt von Hühnern ein, wo sie die Darmzellen zerstört. Erreicht der Parasit den Blinddarm, können die Hühner daran sterben. Da die Krankheit allgegenwärtig ist, muss die Chemie helfen. In der biologischen Hühnermast werden die Tiere standardmässig geimpft. Weil das bei der kurzen Lebensdauer in der konventionellen Mast nicht rentiert, wird dort das Medikament Kokzidiostatika prophylaktisch der Tiernahrung beigemischt.

Das Problem: In der Schweiz sind immer weniger Wirkstoffe zugelassen und es werden vermehrt Resistenzen festgestellt. (Guillot 2017) Die vielen Krankheiten führen zu einer hohen Mortalitätsrate von 2 bis 4 Prozent. (Gloor 2016) Bei 74'120’578 (Aviforum 2020) eingestallten Hühnern im Jahr 2019 und einer Schlachtzahl von 72'584’106 (Proviande 2020a), macht das 1'536’472 Individuen, die vorzeitig und qualvoll starben. Die Hühnerindustrie sagt dazu: "Übrigens – verzeihen Sie den etwas heiklen Vergleich – liegt gemäss UNICEF die Kindersterblichkeit im weltweiten Durchschnitt bei 4.6 % ..." (SGZ 6,7/18)


Andere Krankheiten – sogenannte Zoonosen – können auch für uns Menschen ungemütlich werden. Am bekanntesten sind Salmonellen, die via kontaminiertes Fleisch übertragen werden. Bei Hühnern harmlos, lösen sie bei Menschen gravierende Lebensmittelvergiftungen aus. 2019 wurden beim Menschen über 1500 Fälle diagnostiziert. Tendenz steigend. (BLV 2020a)

Noch verbreiteter ist die Campylobacteriose, eine bakterielle Infektionskrankheit, die beim Menschen zu Durchfall führen kann. Rund 35 Prozent der Hühnermast­-Herden sind in der Schweiz Campylobacter­positiv. 2019 kam es beim Menschen zu über 7000 Infektionen. Tendenz: Stagnation auf hohem Niveau. (BLV 2020b) Europaweit kommt es zu über 240’000 Infektionen pro Jahr. In der Schweiz verursacht die Krankheit jährliche Kosten von bis zu 45 Millionen Franken. Das Bakterium befällt auch andere Tierarten, doch 71 Prozent aller Übertragungen auf den Menschen stammen von Hühnern. (Antibiotika Report 2020)

Antibiotika in Gefahr

Die vielen Krankheiten in der Massentierhaltung gefährden eine der wichtigsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts: die Antibiotika. Bei übermässigem Einsatz von Antibiotika können Bakterien resistent werden, sodass die Mittel ihre Wirkung verlieren. In der Schweiz sind nur wenige antimikrobielle Mittel für die Behandlung von Hühnern zugelassen. Einige von ihnen werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als kritische Reserveantibiotika für den Menschen eingestuft. (BAG 2020)

Eines davon ist Ciprofloxacin, auf das bereits rund 40 Prozent der Schweizer Masthühner resistent sind. Auf ein weiteres Antibiotikum, Streptomycin, sind rund 32 Prozent der Hühner resistent. Immerhin: Bei diesen beiden Antibiotika zeigt die Resistenzkurve nach unten. Steigend ist sie indes bei Tetracycline, von rund 27 Prozent im Jahr 2013 auf über 54 Prozent der Hühner im Jahr 2018 resistent waren. (ebd.)

Zum Teil liegt die Schuld für die Resistenzen nicht bei der Schweizer Hühnerindustrie. Diese können die Resistenz­-Gene durch importierte Elterntiere "erben", die dann via Brüterei in die Schweizer Anlagen gelangen. Dennoch wird in Schweizer Hühnerbeständen nach wie vor viel Antibiotika verabreicht: Da es in der Hühnerindustrie keine individuelle Betreuung gibt, wird kurzerhand der ganze Bestand "mediziniert". Dies, obwohl die Weltgesundheitsorganisation 2017 eindringlich dazu aufrief, gesunden Tieren keine Antibiotika zu verabreichen. (WHO 2017) In der Schweiz wird rund jede zehnte Herde mit Antibiotika behandelt. (Gloor 2017)

DIE GIER NACH HÜHNERFLEISCH

Weltweit, aber auch in der Schweiz wird Hühnerfleisch immer beliebter. Die Gründe dafür liegen etwa im tiefen Preis und dem im Vergleich zu anderem Fleisch geringeren Fettanteil. In der Schweiz ist der Konsum von Hühnerfleisch von 11 Kilogramm im Jahr 2010 auf über 14 Kilogramm im Jahr 2019 angestiegen. (Proviande 2020a) Die Schweiz liegt damit im weltweiten Durchschnitt. Andere Industrienationen konsumieren massiv mehr, darunter Grossbritannien (30 kg), die USA (50 kg) oder Israel (64 kg), wo global am meisten Hühnerfleisch konsumiert wird. (OECD 2020)

Die Gier nach Hühnerfleisch bleibt ungestillt: In ihrem Ausblick bis 2030 vermuten die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die Welternährungsorganisation (FAO), dass Hühnerfleisch rund die Hälfte des prognostizierten Fleischwachstums ausmachen wird. Einen Grund dafür sehen die Organisationen darin, dass einkommensstarke Länder beim tierlichen Protein teilweise auf Hühnerfleisch umschwenken. (OECD/FAO 2020)


Importierte Tierquälerei

36 Prozent des in der Schweiz konsumierten Hühnerfleisches wird importiert. (Proviande 2020b) Davon stammt der grösste Teil, nämlich rund 42 Prozent, aus Brasilien. (BLW 2020) Damit importieren wir nicht nur viel Fleisch, sondern auch viel Tierquälerei: In Brasilien fehlen sämtliche Tierschutzstandards: Die Ställe müssen nicht eingestreut werden, die Hühner leben in absoluter Dunkelheit und pro Quadratmeter werden bis zu 19 Tiere gehalten (Schweiz: 15). Auch Vorschriften zu Tiertransporten fehlen in Brasilien weitgehend. (Götz 2018)

Kommt hinzu, dass Brasilien wiederholt mit Gammelfleisch­Skandalen zu kämpfen hat. Der Fleischkonzern JBS war 2017 in einen riesigen Fleischskandal verwickelt. Über Jahre hinweg hatte JBS Gammelfleisch unter die Ware gemischt und Kontrolleur*innen des Agrarministeriums bestochen. Die Rede ist von bis zu 6'000 Dollar pro Person – monatlich. Damit nicht genug: Zuvor nahm die brasilianische Polizei bei der Aktion "Carne fraca" (Gammelfleisch) 38 Manager*innen und Kontrolleur*innen fest, weil sie systematisch Hygienemängel bei der Verarbeitung vertuscht hatten. Ebenso waren Schmiergeldzahlungen aufgedeckt worden. (Sennhauser 2018)

2018 wurde erneut vergammeltes Hühnerfleisch aus Brasilien exportiert. Die Europäische Union, die wichtigste Abnehmerin, stoppte daraufhin den Handel mit 20 Exporteur*innen. Aufgrund des geltenden Agrarabkommens mit der EU zog die Schweiz automatisch mit. (ebd.)

EINE NEUE ÄRA VON PANDEMIEN

Leere Regale, geschlossene Schulen und überfüllte Krankenhäuser – das Coronavirus zeigte, welch drastische Auswirkungen eine Pandemie hat. Vielleicht ist der Spuk noch nicht vorbei: "Covid­19 ist nur der Anfang und das erste Kapitel einer neuen Ära von Pandemien", sagt der Sozio-loge Mike Davis, der bereits 2005 in einem Buch vor einer Pandemie warnte. (Kolly & Ryser 2021)

Tatsächlich begann die Ära der Pandemien schon um die Jahrtausendwende. Seither tauchen neue Zoonosen bedrohlich oft auf. Dazu gehören SARS (2002), MERS (2012) oder die Schweinegrippe (2009). Besonders gefährlich ist allerdings die Vogelgrippe, die seit 1981 immer wieder ausbricht. Laut Mike Davis ist die Vogelgrippe nur wenige Mutationen davon entfernt, dass einer ihrer tödlichsten Stämme pandemisch wird.

Schuld daran sei mitunter unsere Tierhaltung. "Die Massentierhaltung ist eine Teilchenbeschleunigerin", so Davis. Ähnlich sieht es auch eine Gruppe Forschender, die bereits 2007 auf die Gefahr von einer durch die Massentierhaltung ausgelösten Pandemie hinwies. Die Viren oder Bakterien stammen zwar meist von Wildtieren, adaptieren sich jedoch an Nutztiere. Von dort ist der Schritt zum Menschen nicht mehr weit. Zur Pandemie kann es kommen, wenn die Keime lernen, sich von Mensch zu Mensch zu übertragen. Gerade in der Hühnerproduktion mit ihren zigtausenden Individuen ist das Mutationsrisiko enorm hoch. Die Forschenden bezeichnen die Massentierhaltung deshalb als Gefahr für die globale menschliche Gesundheit. (Otte et al. 2007)

Den Forschenden sass damals noch der Schreck der Vogelgrippe­Variante H5N1 im Nacken. Damit infizierten sich insgesamt über 800 Leute, wovon über 500 starben. (Radtke 2020) Das ist eine Sterblichkeit von über 50 Prozent! Zum Vergleich: Beim Coronavirus sind es weniger als 1 Prozent. Zum Glück gelang es H5N1 nie, sich von Mensch zu Mensch zu übertragen.

Im Jahr 2020 breitete sich in Europa die Vogelgrippe­Variante H5N8 aus. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) verhängte postwendend die Alarmstufe Rot. (BLV 2021a) Die Variante ist bei Tieren hochgradig pathogen, europaweit fielen ihr bereits hunderttausende Tiere zum Opfer, etwa in Frankreich und Dänemark. (Deutschlandfunk 2020) Bisher gab es einen bestätigten Fall in der Bodenseeregion. (BLV 2021b)

Die Gefahr eines mutierten Vogelgrippe­Virus bleibt also real. Auch wenn es hoffentlich niemals eintritt, lohnt es sich, dieses Szenario einmal durchzuspielen: Angenommen die Vogelgrippe verfügt plötzlich über eine Reproduktionszahl wie das Coronavirus und eine Sterblichkeit wie H5N1, dann käme innert Kürze die globale Wirtschaft zum Erliegen. Die Krankenhäuser könnten die Infizierten nicht mehr behandeln, die Nahrungs­, Wasser­ und Stromversorgung würde kollabieren. Die Zivilisation, so wie wir sie kennen, nähme ein Ende.  Dieses dystopische Szenario ist unwahrscheinlich, aber nicht unrealistisch! Um diese Gefahr zu bannen, so Soziologe Mike Davis, reicht es nicht, wenn die Wohlstandsländer ein bisschen weniger Fleisch konsumierten. Stattdessen müssten wir die Grenzen zwischen natürlichen Virenreservoiren und Menschen kontrollieren und beibehalten. Dazu müsste die Politik die Zerstörung der kleinen Bauernhöfe stoppen und eine Abkehr vom Agrobusiness einleiten. "Die Macht dieser Konzerne müsste in der Tat zwingend reduziert werden", so Davis. Stattdessen brauche es eine Machtverschiebung hin zu kleinen Bäuer*innen.

ÜBER TIER IM FOKUS (TIF)

TIF ist eine Schweizer Tierrechtsorganisation. In umfangreichen Kampagnen deckt sie regelmässig grobe Missstände in der Schweizer Nutztierhaltung auf. TIF fördert die vegane Lebensweise und unterstützt Lebenshöfe, wo Tiere nicht ausgebeutet werden. Ziel von TIF ist die Abschaffung der Nutztierhaltung. Dahinter steckt die Überzeugung, dass wir kein Recht haben, Tiere gewaltsam zu töten. TIF setzt sich ein für Grundrechte für Tiere, wie das Recht auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit.

 

Sämtliche Texte und Bilder stammen von Tier im Fokus

Alle Quellenangaben findest Du hier