Ein behütetes Zuhause für Kühe, Rinder und Alpaka-Buben
Von Bettina Ebner
Es ist ein kalter und regnerischer Maitag, als ich auf den Hof von Patrik und Irma Kappeler einbiege. Der Himmel ist grauverhangen im Thurgau und man hat das Gefühl, die Zeit stehe still. Die Stimmung ist ruhig, fast mystisch, als ich aussteige. Den Hof säumen riesige Weideflächen und ich bin beeindruckt, wie sauber und gepflegt das ganze Anwesen ist.
Während ich noch nach meinem Regenschutz suche, trottet mir Hofhund Aron gemütlich entgegen und begrüsst mich freundlich. Der Empfang von Patrik und Irma ist nicht minder herzlich, und sie bitten mich in ihre wohnliche Küche, damit wir im Trockenen ausführlich über die spannende Geschichte vom Chäppis-Hof sprechen können.
Wie alles begann …
Der Chäppis-Hof ist ein reiner Familienbetrieb. Schon der Grossvater und der Vater von Patrik lebten hier und so war es naheliegend, dass Patrik den elterlichen Bauernhof einmal weiterführen würde.
Als Patrik den Hof dann 1996 ganz übernahm, war dieser noch ein konventioneller Milchwirtschaftsbetrieb. Die Kühe wurden täglich gemolken und standen in einem Anbindestall. Nach einer intensiven Planung und Bauphase konnten die Kühe dann 2010 in einen neuen Laufstall umziehen. Dieser bot den Tieren viel mehr Platz und Bewegungsfreiheit. Gemolken wurden sie aber noch immer. Neben der Milchproduktion betrieben Patrik und Irma zu dieser Zeit eine kleine Trutenmast für die Direktvermarktung auf dem Hof. Ende 2018 entschieden sie sich dann für eine Umstrukturierung, und Mitte 2019 wurde das letzte Mal gemolken.
Vom klassischen Bauernbetrieb zum Pensionsstall
Ausschlaggebend für die Umstellung bzw. den Ausstieg aus der klassischen Milchwirtschaft war bei Patrik und Irma, dass sie mit der Milch-Politik nicht mehr einverstanden waren. Gerne hätten die beiden keine überschüssige Milch auf den Markt gebracht. Lieber nach dem Motto "weniger ist mehr", dafür zu einem anständigen Milchpreis. Leider mussten sie sich schnell von dieser Vorstellung verabschieden. Dann informierten sie sich über eine Mutterkuhhaltung. Dafür hätte aber der ganze Tierbestand verkauft und eine neue Herde Mutterkühe gekauft werden müssen. Zeitgleich stellte ein Kollege von Patrik seinen Betrieb auf eine Kuhpension um, und Patrik half ihm beim Umbau. So reifte langsam die Idee einer Pension für Kühe und Rinder heran.
Ende Juli 2019 wurde daraus Realität. Bei einer Umstellung auf einen Betrieb, in dem keine Tiere mehr genutzt werden, steht man oft vor der grossen Herausforderung, für alle bestehenden Tiere einen geeigneten Platz zu finden. Gerade wenn man vorher einen Mast- oder Milchbetrieb mit einem sehr grossen Tierbestand hatte, ist dies nicht ganz einfach. So verkauften Patrik und Irma einen Teil der bestehenden Kuhherde als Milchkühe und rund 15 Kühe, von denen ein Teil tragend war, durften bei ihnen bleiben. Die Trutenmast gaben sie gänzlich auf.
Für die Kühe und deren Kälber, die auf dem Hof blieben, wurden liebe Paten und Patinnen gesucht, die Freude daran haben, sie zu unterstützen. Mit der Zeit kamen immer mehr Pensionstiere dazu. Sie alle würden heute nicht mehr leben, wenn sich keine tierlieben Menschen (Privatpersonen, Tierschutzvereine etc.) darum gekümmert hätten, dass sie ein Zuhause bekommen und in Würde leben können. Nun lebt eine bunt gemischte Kuh- und Rinderherde bei Patrik und Irma in Pension. Finanziell kommen die Besitzer für sie auf und um das tägliche Wohl kümmern sich Patrik und Irma. So trägt sich der Chäppis-Hof finanziell durch die Pensionskosten der nun mittlerweile 49 Kühe und Rinder.
Patrik: "Alpakas zu haben, war schon immer mein Wunsch."
Ende 2019 durften dann auch Patriks ganz besonderen Lieblinge, die Alpaka-Jungs, einziehen. Neun bezaubernde Tiere, die alle für die Zucht ungeeignet und daher überflüssig waren, haben hier auf dem Chäppis-Hof ein tolles, lebenslanges Zuhause gefunden. Um sie zu besuchen, stapfen wir durch das hohe Gras der nassen Weiden bis ans hinterste Ende. Dort erblicken wir schon die ersten neugierigen Wuschelköpfe. Als Patrik mit dem roten Futtereimer klappert, kommen sie alle herbeigelaufen. Jedes Einzelne trägt ein Halsbändchen mit seinem Namen. Kaum zu glauben, dass solch schöne Tiere, deren angebliche Makel gar nicht erkennbar sind, bereits geschlachtet worden wären.
Schutz für Kühe
Immer mehr Landwirte und Landwirtinnen möchten raus aus der Tier(aus-)nutzung und stellen um auf eine friedliche und respektvolle Landwirtschaft, in der die Tiere mit den Menschen auf Augenhöhe leben.
Eine Umstrukturierung passiert nicht von heute auf morgen und benötigt viel Know-how, damit das Projekt auch wirklich gelingt. Solche Umstellungsprozesse begleitet und unterstützt Sarah Heiligtag vom Verein Hof Narr massgeblich. So nimmt sie auch Pia Buob, deren Hof den wunderschönen Namen "Einfach sein" trägt, unter ihre Fittiche.
Freuden und Sorgen
Auf meine Frage, woran sie sich denn täglich aufs Neue erfreuen, strahlt Irma über beide Ohren: Pias Kühe!
Man merkt, dass die Tiere bei Pia liebevoll gehegt und gepflegt wurden. Sie sind sehr anhänglich und geniessen die Aufmerksamkeit der Menschen. Patrik mag die Ruhe, die die Kühe ausstrahlen, wenn er früh morgens zur Weide kommt, ein Teil der Kühe noch im weichen Gras liegt und der andere bereits friedlich Grashalme zupft. Und er hat recht: Diese sanften Tiere strahlen eine unglaubliche Ruhe aus und allein durch ihre Anwesenheit senkt sich der Puls und lässt den Alltagsstress vergessen.
Die Tiere sind einzigartig und sehr zutraulich
"Wir haben einen anderen Umgang mit den Tieren", erläutert Patrik. Natürlich pflegte er früher auch seine eigenen Tiere sehr gut, aber "man schaut schon noch genauer hin, wenn es nicht die eigenen" sind. Den Tieren fehlt es auf dem Chäppis-Hof wirklich an nichts. Sie sind tipptopp gepflegt, haben ein riesiges, weiches Strohlager mit einem Auslauf, der jederzeit zugänglich ist, und Weiden bis zum Horizont.
Es liegt aber auf der Hand, dass es viel Fingerspitzengefühl braucht, um mit den vielen Besitzern der Tiere ein freundschaftliches und gutes Verhältnis zu pflegen. Offen zu sein für die Anliegen der Besitzer, aber auch eine klare eigene Linie zu vertreten, ist nicht immer einfach.
Als ich mich von Patrik und Irma verabschiede, blinzelt gerade die Sonne ein wenig durch. Ich fahre mit einem warmen Gefühl nach Hause – alle Tiere haben ein wunderschönes und behütetes Zuhause auf dem Chäppis-Hof gefunden.