Erschwerte Adoptionen
Für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen kann es schwierig sein, Tiere zu adoptieren. Die Tierheime berufen sich auf das Tierwohl, sind aber nicht grundsätzlich abgeneigt, wenn das Setting stimmt.
Vor 30 Jahren ist die nun ältere Dame auf den Pudel gekommen. Einen Zwergpudel empfindet sie als den idealen Hund: Er sei leicht zu erziehen, intelligent, auf den Menschen fokussiert, nicht zu gross und äusserst liebenswert, erzählt sie am Telefon. Ihr letzter Pudel Peggy ist vor sieben Monaten bei einem Unfall ums Leben gekommen. Seither trauert sie um Peggy und wünscht sich einen neuen, jungen Pudel. Doch sie ist bereits 85 Jahre alt – was ihren Wunsch erschwert. «Rufe ich bei einem Züchter an, werde ich sogleich gefragt: Wie alt sind Sie? Ich antworte ehrlich und dann ist der Fall klar: Ich kriege keinen Pudel.»
Also hat die 85-Jährige begonnen, Tierheime abzutelefonieren. Auch hier stosse sie auf Skepsis. Rommy Los, Geschäftsführer Zürcher Tierschutz, positioniert sich klar: «Wir sind eine Tierschutzorganisation, für uns steht das Wohl des Tieres im Vordergrund.» Natürlich verstehe er, dass gerade für einen älteren Menschen ein Hund als Begleiter schön und sinnvoll sei. Biete er doch Sozialkontakt, Bewegung und Struktur im Tagesablauf.

«Wir sind eine Tierschutzorganisation, für uns steht das Wohl des Tieres im Vordergrund.»

Für Rommy Los steht aber immer die Frage im Vordergrund: Was ist für das Tier am besten? Werden seine Bedürfnisse erfüllt, und zwar solange es lebt? Im Tierheim des Zürcher Tierschutzes sei es nie das Ziel, möglichst viele Tiere schnellstmöglich zu platzieren. Vielmehr wünsche man sich für jeden Schützling, dass er zum letzten Mal in ein neues Zuhause vermittelt werden muss.
Eine Vermittlung an alte Menschen sei denkbar, wenn das Setting stimme. Sei ein älterer Herr beispielsweise nicht mehr mobil, habe aber eine Bekannte, die langfristig täglich mit dem Hund spazieren gehen möchte, könnte das funktionieren. Sei der Sohn einer älteren Dame eine zusätzliche Bezugsperson für den Hund und könnte bei Bedarf einspringen, so wäre die Zukunft des Hundes abgesichert.
Immer wieder gebe es auch für Leute mit einer schwierigen Ausgangslage schöne Lösungen, erzählt Rommy Los. So habe sich ein betagter Herr sehnlichst eine Katze gewünscht. Als sich seine langjährige Spitex-Betreuerin bereit erklärte, die Katze zu übernehmen, sollte er nicht mehr für sie da sein können, war das für alle Betroffenen stimmig. Dieses Versprechen wurde in einem Vertrag festgehalten.
Rommy Los schätzt die Chancen, dass die ältere Dame einen Pudel findet, als gering ein. Ihr Wunsch sei zu spezifisch. In den Tierheimen seien dieselben Hunde zu finden wie auf der Strasse. Mischlinge oder aktuell im Trend liegende Zwergspitze, Dackel und französische Bulldoggen gebe es zwar viele, Pudel hingegen nur wenige. Müsste der Pudel dann zusätzlich spezifischen Vorstellungen bezüglich Alter und Grösse entsprechen, werde es noch unwahrscheinlicher. Und schliesslich gebe es pro Hund im Tierheim fast immer mehrere Anfragen, so dass die passendste Person ausgewählt werden könne.
«Manche Leute fragen uns: Warum seid ihr so streng bei Tieradoptionen?», erzählt Barbara Guggenbühl. Sie leitet das Tierheim der Helena-Frey-Stiftung in Rümlang. «Unser Ziel ist nicht, Menschen zufrieden zu stellen. Wir sind für die Tiere da», erklärt sie. Sei es voraussehbar, dass ein Tier nicht bis zu seinem Lebensende an einem Platz bleiben könne, sage sie Nein zu einer Adoption. «Unsere Tiere haben bereits einen Schicksalsschlag erlebt, wir müssen sie vor einem weiteren schützen.»
Ist jemand auf den Rollstuhl angewiesen oder hat psychische Probleme, ist sie ebenfalls vorsichtig. Es müsse klar sein, dass die Bedürfnisse der Tiere erfüllt würden. Jemand mit eingeschränkter Mobilität müsse dem Tier genug Auslauf bieten können. Jemand mit unsichtbaren Behinderungen auch tatsächlich die Verantwortung für ein Tier übernehmen können.
Barbara Guggenbühl findet, die Leute seien oft unvernünftig, ihre Ansprüche an ein Tier häufig unrealistisch. «Niemand ruft an und sagt: Ich hätte gern irgendein altes Hundeli», sagt sie und ergänzt: «Die Leute möchten einen Rassehund mit einem bestimmten Alter und Gewicht.» Hier wünscht sie sich mehr Offenheit und Flexibilität.
Älteren Menschen empfiehlt sie beispielsweise, sich einen Hund in der Nachbarschaft zu suchen, mit dem sie regelmässig spazieren gehen können. Oder um den sie sich kümmern können, wenn die Besitzer:innen arbeiten gehen. Statt sich ein eigenes Tier anzuschaffen, könne man auch die Katzen im Katzenaltersheim der Helena-Frey-Stiftung besuchen und streicheln. Oder mit Hunden aus Tierheimen spazieren gehen, wo dies angeboten wird.
Auch Barbara Guggenbühl glaubt, es könne für die 85-Jährige schwierig werden, einen Pudel zu finden. Diese aber gibt nicht auf: «Ich suche weiter, denn ich brauche einen Pudel für meine seelische Balance!»

«Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, dass Züchter:innen oder Organisationen, die Tiere vermitteln, ihre Tiere wieder zurücknehmen müssen, falls eine Person stirbt oder aus anderen Gründen nicht mehr auf ihr Tier schauen kann. Tatsächlich werden solche Regelungen aber oft vertraglich vereinbart – was juristisch zulässig ist. Viele Personen oder Organisationen, die Tiere vermitteln, sehen dies als ihre Verantwortung dem Tier gegenüber.»
Caroline Mulle, Stiftung für das Tier im Recht