Ein Engel für die Zürcher Stadtvögel
Von Martina Futterlieb
Unsere Stadtvögel sind vor allem im Winter auf Fütterung angewiesen, um zu überleben. Häufig übernehmen diese Aufgabe ältere Menschen, bei ihrem täglichen Spaziergang. Wegen Corona bleiben genau diese Menschen jetzt aber zuhause. Janet Baracchi hat es sich seit vielen Jahren zur Aufgabe gemacht, für die Stadtvögel zu sorgen. Sie füttert Tauben, Krähen, Enten, Spatzen und Möwen, alle mit dem richtigen Futter selbstverständlich und im Normalfall auf eigene Kosten.
Die Stadtvögel in Zürich sind zurzeit so hungrig wie noch nie. Bereits im ersten Lockdown war die Situation dieselbe. Normalerweise finden die Vögel Brotkrümel und Ähnliches in der Umgebung von Restaurants und Take Aways. Viele ältere Menschen bringen ihnen ausserdem bei ihrem täglichen Spaziergang durch die Zürcher Parks Futter mit. Momentan fallen die allermeisten dieser Futterquellen weg und die Vögel hungern.
Frühmorgens fährt Janet Baracchi mit ihrem Velo los und macht eine grosse Tour. Sie kennt alle guten Plätze, wo sich viele Vögel aufhalten, und die Vögel wiederum kennen sie und warten auf sie. Die pensionierte Vogelliebhaberin schaut auch sonst nach dem Rechten. Entdeckt sie einen verletzten Vogel, lockt sie ihn mit Futter an und fängt ihn wenn möglich ein. Je nach Verletzung bringt sie ihn zum Tierarzt, in die Wildvogelstation der Voliere Zürich oder sie päppelt ihn bei sich zuhause wieder auf, um ihn dann wieder in die Freiheit zu entlassen.
In einem normalen Winter fährt sie 1-2-mal pro Woche zum Füttern, doch jetzt sei die Situation prekär. Jeden zweiten Tag fährt sie momentan ihre Tour – im ersten Lockdown fuhr sie sogar täglich – und verteilt ca. 15 kg Futter pro Tag. Ohne finanzielle Hilfe wäre das für sie nicht mehr zu stemmen. "Ich bin sehr dankbar, dass ProTier und andere Tierschutzorganisationen mich und die Vögel in diesen schwierigen Monaten mit Futterspenden unterstützen", sagt sie.
Im Sommer reduziert sie die Fütterung auf 1-mal die Woche. "Im Winter wie auch im Frühling, wenn sie ihre Jungen aufziehen, sind sie auf Futter angewiesen", sagt Janet. "Die Vogelbestände nehmen seit Jahren kontinuierlich ab. Im Sommer müssen sie zwar nicht hungern, doch die meisten Leute füttern einfach Brot. Ich bringe ihnen artgerechtes Futter, damit sie mit den richtigen Vitaminen versorgt sind", ergänzt sie.
Natürlich sind die meisten Stadtvögel wie Krähen, Spatzen, Enten etc. Wildtiere, die grundsätzlich ohne den Menschen auskommen müssten. Trotzdem ist der Mensch verantwortlich für ihre hohe Präsenz in der Stadt. Durch die einseitige Landwirtschaft und die starke Belastung mit Pestiziden finden sie in ihrem natürlichen Lebensraum nicht mehr genügend Nahrungsquellen.
Eine grosse Ausnahme bilden die Stadttauben. Abstammend von der Felsentaube, wurden sie vom Menschen über Jahrhunderte hinweg gezüchtet und als Fleisch- und Eierlieferanten oder als Boten und Liebhaberobjekte genutzt. Bei der Zuchtwahl wurde auf hohe Reproduktion sowie auf niedrige Aggressivität und Territorialität selektioniert. Das führt bei den rückverwilderten Nachfahren, die heute unsere Städte bewohnen, zu früherer Geschlechtsreife und ganzjähriger Bruttätigkeit sowie zu einer räumlich beschränkten, hohen Konzentration von Brutplätzen.
Anders als Felsentauben sind Stadttauben nicht mehr in der Lage, bei fehlendem Nahrungsangebot auf natürliche Nahrungsquellen zurückzugreifen. Sie sind auf artgerechte Fütterung durch den Menschen angewiesen und müssen sich andernfalls ihre Nahrung aus menschlichen Abfällen zusammensuchen, was einen negativen Effekt auf ihre Gesundheit hat. Die mangelhafte Ernährung ist auch verantwortlich für den flüssigen Kot, der die Hausfassaden verschmutzt.
Eine artgerechte Fütterung ist somit bei allen Vögeln äusserst wichtig für ihre Gesundheit. Sind die Tiere gesund, verbreiten sich auch Krankheiten weniger schnell.