Naturhof Waltwil 4 – vom Legehennenbetrieb zum Lebenshof
Der frühere Bio-Legehennenbetrieb im bernischen Seeland wagte im Sommer 2022 den mutigen Schritt zur Umstellung und bietet seither nicht nur den ehemaligen Hoftieren, sondern auch geretteten Tieren ein liebevolles Zuhause. Fabienne Meier und Thomas Reinhard setzen sich mit viel Herzblut für ihre tierischen Bewohner und eine nachhaltige Landwirtschaft ein.
Jede Hofbesichtigung und das Kennenlernen der Hofbesitzer:innen sowie der tierischen Bewohner sind ein Höhepunkt. Doch dieses Mal war der Besuch etwas Einmaliges für mich. Im Rahmen eines Forschungsprojekts durfte ich den Biohof noch vor seiner Umstellung zum Lebenshof kennenlernen. Die Vorfreude war nun umso grösser, die Umwandlung zum Naturhof hautnah miterleben zu dürfen.
Der Beginn einer mutigen Reise
Vor einigen Jahren übernahm Thomas den elterlichen Betrieb, der bereits über mehrere Jahre als Biohof geführt wurde. Als Haupteinnahmequelle wurden Legehennen für die Eierproduktion und Aufzuchtrinder gehalten. Rund 2’000 Legehennen lebten auf dem früheren Biohof. Doch der Tag der Ausstallung war für Thomas und Fabienne jedes Mal aufs Neue ein belastendes Ereignis. Der Wunsch, den Tieren ein artgerechtes Zuhause bieten zu können und verstärkt im Einklang mit der Natur zu leben, wurde immer deutlicher, und so entschieden sich die beiden, dass keine Hoftiere mehr geschlachtet werden. Vor rund einem Jahr wurde dann auch die Eierproduktion als Hauptbetriebszweig eingestellt und für die Legehennen ein neues, liebevolles Zuhause gesucht. Die Mehrheit der Tiere fand einen Lebensplatz bei fürsorglichen Privatpersonen, die sich so ihren Traum von einer kleinen Hühnerhaltung erfüllen konnten. Eine kleinere Herde mit ca. 200 Tieren und zwei Hähnen behielten Fabienne und Thomas und ermöglichten ihnen, ihr Leben in einem neuen Zuhause weiterhin auf dem Naturhof zu geniessen. Der neue Mobilstall auf einer grossen Weide bietet nun genügend Platz, um den Bedürfnissen der Tiere gerecht zu werden.
Ein neues Zuhause für Schafe und Schweine
Auch bei unserer Hofführung nimmt der ehemalige Hühnerstall eine zentrale Rolle ein. Er ist kaum wiederzuerkennen. Wo früher 2’000 Tiere wuselten, finden nun die Schafe und geretteten Schweine ein neues Zuhause sowie zwei neugierige Hennen, die eigentlich nur krankheitsbedingt von der restlichen Hühnerschar getrennt worden waren. Ihnen gefiel das Zusammenleben mit den neuen tierischen Persönlichkeiten so gut, dass sie schlussendlich auch im neuen Stall einziehen konnten.
Die Schaf-Truppe besteht aus sieben entzückenden Damen, die ein eingespieltes Team sind. Früher wurde immer wieder ein Schaf der kleinen Herde geschlachtet, heute dürfen sie sich nur noch um die Landschaftspflege kümmern und das Gras rund um den ehemaligen Hühnerstall geniessen. Im Umgang mit dem Menschen benötigt die eine oder andere Schafdame jedoch noch etwas Zeit, um genügend Vertrauen aufbauen zu können. Mit viel Geduld und in einer ruhigen Atmosphäre wird ihnen gezeigt, dass der Umgang mit Menschen auch liebevoll sein kann. Denn grundsätzlich sind die Schafdamen sehr neugierig. Um die Herzen der Schaf-Truppe zu gewinnen, kann ein zusätzliches Leckerchen hilfreich sein. Vor allem Gritli und Schneewiisli schätzen dies sehr - Liebe geht bekanntlich schlussendlich auch durch den Magen.
Seit Neustem findet auch eine Schweinebande Zuflucht auf dem Naturhof Waltwil4. Mit einem breiten Lächeln stellt uns Fabienne ihre quiekenden Schützlinge vor, die ihre Freude über einen Besuch lautstark kommunizieren. Das sogenannte Hof-Orchester sorgt tagtäglich für viel Unterhaltung, vor allem bei der morgendlichen Fütterung. Die Vertrautheit, die wir hier zwischen Mensch und Tier beobachten dürfen, ist sehr eindrücklich. Kaum vorstellbar, welches Schicksal diese neugierigen und verschmusten Wesen ohne den Einsatz von Thomas und Fabienne erlebt hätten.
Eine Schweinefamilie vereint
Bibi, Bilbo, Tina und die Geschwister Rosie und Frodo können nun vereint als Familie ihr Leben in vollen Zügen geniessen. Bibi und Tina sind Schwestern und teilten das gleiche Schicksal. Ihre Hauptaufgabe war es, als Zuchtschweine in einem Versuchsstall viele Ferkel zu gebären, von denen sie nach einer kurzen Zeit getrennt wurden. Umso schöner ist es, dass Bibi nun mit ihrem verbliebenen Sohn Bilbo und Tina mit Frodo und Rosie ihr Muttersein vollumfänglich ausleben dürfen. Mit viel Geduld erziehen die beiden die kleine Rasselbande, denn diese hat sehr viel Unsinn im Kopf. Bilbo, der kleine Charmeur der Bande, weiss genau, was er möchte, und teilt dies seinem Personal auch lautstark mit. Neben erholsamen Schlammbädern hält er zusammen mit Frodo und dessen Schwester Rosie alle auf Trab. Auch die Geschwister lassen regelmässig die Besucherherzen höherschlagen, vor allem, wenn Rosie, das «Kuschelschwein», eine Bauchmassage einfordert und sich den Besuchern wortwörtlich vor die Füsse wirft. Ein sehr cleverer Schachzug, denn ein Entkommen ist so unmöglich.
Ein kleiner Superstar
Als weiteres Highlight dürfen wir den Neuzugang Ophelia-Roxy begrüssen. Erst vor ein paar Tagen kam das zehn Wochen alte Ferkel auf den Naturhof. Die kleine Ophelia hat in ihrem kurzen Leben bereits einiges mitgemacht. Anfang August wurde sie auf einem landwirtschaftlichen Betrieb geboren. Ihre Mutter, die zum ersten Mal Ferkel zur Welt brachte, war jedoch überfordert mit ihrer neuen Mutterrolle und erdrückte alle ihre Ferkel. Nur die kleine Kämpferin hat überlebt. Als Rettungsmassnahme wurde Ophelia von der Bauernfamilie von Hand aufgezogen, aber der anschliessende Integrationsversuch in die Schweinegruppe scheiterte. Das winzige Wesen hatte kaum eine Chance in der Gruppe. Schliesslich entschied sich die Familie dazu, einen Lebensplatz für die Kleine zu suchen, und hat diesen nun glücklicherweise auf dem Naturhof Waltwil4 gefunden. Die Neugierde von Bibi, Bilbo und Co. ist gross. Die kleine Ophelia bekommt nun so viel Zeit wie nötig, um im neuen Zuhause anzukommen und sich an die neue Familie zu gewöhnen.
Ein Umstellungsprozess mit Herausforderungen
Der gesamte Lebenshof befindet sich noch inmitten eines gewaltigen Umstellungsprozesses. So auch die neue Ruheoase der Schafe und Schweine. Der aktuelle Stall ist zum Teil schon umgebaut und bietet den tierischen Bewohnern einen artgerechten Unterschlupf. Es sind jedoch noch weitere Renovierungsarbeiten notwendig, um den Stall vor allem bei winterlichen Wetterbedingungen für die Schützlinge in ein sicheres Umfeld zu verwandeln. Denn die kleine Ophelia und ihre neue Schweinefamilie sowie die Schafdamen haben es verdient, nun endlich ohne Kompromisse ihr Dasein geniessen zu dürfen.
Der Naturhof Waltwil 4 freut sich über Ihre Spende
Damit sie den Umbau realisieren und noch weiteren Tieren ein liebevolles Zuhause bieten können, sind Fabienne und Thomas auf Unterstützung angewiesen. Denn die Betriebsumstrukturierung und der damit verbundene wirtschaftliche Verlust durch die Auflösung der Eierproduktion stellt das Paar immer wieder vor Herausforderungen. Umso schöner ist es zu sehen, mit welchem Elan und Tatendrang sie sich für ihre Vision von einer besseren Welt für Tier und Mensch einsetzen. Der Naturhof Waltwil4 ist jetzt schon nicht mehr wiederzuerkennen, und es bleibt weiterhin spannend, wie er sich noch entwickeln wird, denn die Ideen gehen Thomas und Fabienne nicht aus.