Wie nachhaltig sind Lebens- und Gnadenhöfe?
Lebens- und Gnadenhöfe sind ein Vorbild, was das Tierwohl anbelangt. Aber sind sie auch nachhaltig im ökologischen und ökonomischen Sinne? Die Stiftung ProTier hat Betrieben aus ihrem Netzwerk ermöglicht, sich mittels der Nachhaltigkeitsanalyse «RISE» überprüfen zu lassen. Die ersten Resultate sind erfreulich.
Was ist RISE?
Die Abkürzung RISE steht für «Response-Inducing Sustainability Evaluation». Dabei wird die ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit von Landwirtschaftsbetrieben anhand von ausgewählten Indikatoren analysiert und bewertet. Die Methode beinhaltet zehn Nachhaltigkeitsthemen. Diese sind wiederum unterteilt in insgesamt 46 Indikatoren, die während einem persönlichen Beratungsgespräch aufgenommen werden. Die Nachhaltigkeit bezieht sich dabei auf verschiedene Aspekte wie beispielsweise Tierhaltung, Wassernutzung, Biodiversität, Energie, Klima und Bodennutzung. Sie umfasst aber auch die Lebensqualität der Menschen sowie deren Arbeitsbedingungen etc.
Liegen die Resultate der Analyse vor, können im Anschluss konkrete Massnahmen abgeleitet werden, um den eigenen Hof nachhaltiger zu gestalten.
Bisher wurde RISE primär in der konventionellen Landwirtschaft verwendet und weltweit auf fast 6000 Betrieben in 62 Ländern eingesetzt.
Konsumentinnen und Konsumenten verspüren immer stärker den Wunsch, auf nachhaltig produzierte Lebensmittel zu setzen. Was vielen nicht bewusst ist: Die Nachhaltigkeit bezieht sich nicht nur auf die Ökologie, sondern auch auf die Wirtschaftlichkeit sowie das Soziale. Für Landwirtschaftsbetriebe ist es eine grosse Herausforderung, eine stetig wachsende Bevölkerung mit ressourcenschonenden Lebensmitteln und Rohstoffen zu versorgen und gleichzeitig dem Klimaschutz, der Biodiversität und dem Tierwohl gerecht zu werden. Dies trifft auch auf Gnaden- und Lebenshöfe zu. Durch ihre individuellen Betriebskonzepte unterscheiden sie sich zwar deutlich von herkömmlichen landwirtschaftlichen Betrieben. Sie müssen sich aber dennoch den Anforderungen einer nachhaltigen Betriebsführung stellen.
Welche Vorteile bietet RISE?
ProTier hat nun einen Pilotversuch für Gnaden- und Lebenshöfe aus ihrem Netzwerk gestartet, damit diese mittels der Nachhaltigkeitsanalyse «RISE» eine detaillierte Standortbestimmung machen können. Das geschieht in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen, welche «RISE» entwickelt hat (die HAFL ist ein Departement der Berner Fachhochschule BFH).
Die RISE-Analyse zeigt, wie nachhaltig der jeweilige Hof in Bezug auf ökologische, ökonomische und soziale Aspekte dasteht. Dank detaillierten Handlungsempfehlungen sehen die teilnehmenden Höfe, wo sie sich mit welchen Massnahmen verbessern können. Weiter bietet eine RISE-Analyse die Chance, sich als Hof im Bereich der Nachhaltigkeit stärker zu positionieren und die eigenen Betriebsstrukturen nachhaltig zu optimieren. Die Methode versteht sich als Ergänzung zu bereits bestehenden Kontroll- und Zertifizierungsmethoden. Sie kann auch als Monitoring-Instrument hilfreich sein, um Trends und Entwicklungen von einzelnen Betrieben bis hin zu ganzen Regionen aufzuzeigen.
Erste Erfahrungen
Am Pilotversuch teilgenommen hat dank der Unterstützung von ProTier unter anderem der Lebenshof «Einfach sein» von Pia Buob. Dieser befindet sich im Emmental und bietet ca. 90 Tieren ein liebevolles Zuhause. Nach einer ausführlichen Hofführung mit anschliessendem Interview zur Datenerhebung analysierte Jan Grenz, der Projektleiter von «RISE», die Ergebnisse und stellte die Optimierungsmassnahmen zusammen. Diese besprach er anschliessend im Rahmen meines Berichts und eines Feedbackgesprächs ausführlich mit Pia Buob. Ihr Hof schnitt insgesamt sehr gut ab. «Der Schlussbericht zeigte mir auf, wo die Stärken liegen und wo noch Potenzial vorhanden ist», freut sich Pia Buob. «Die RISE-Studie bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.»
Von zehn Nachhaltigkeitsthemen waren auf dem Lebenshof von Pia Buob sieben im grünen, drei im gelben und keines im roten Bereich eingestuft. Vor allem die Tierhaltung, Biodiversität und Lebensqualität stachen besonders positiv heraus. Mit 89 von 100 möglichen Punkten für die Biodiversität erreichte der Lebenshof einen sehr hohen Wert, den bisher kein Schweizer Betrieb bei der RISE-Analyse erreicht hat.
Auch der Naturhof Waltwil4 nahm an der RISE-Analyse teil. Er schneidet mit einem hervorragenden Ergebnis ab: Vor allem die ökologischen Leistungen erreichten seit der Umstellung zum Lebenshof ein sehr hohes Niveau, wobei der Bereich Tierhaltung besonders hervorsticht. Das Ergebnis zeigt aber auch deutlich, dass diese Umstellung finanzielle und arbeitsintensive Herausforderungen mit sich bringt. Der Naturhof liegt im bernischen Seeland und wagte im Sommer 2022 den mutigen Schritt zur Umstellung. Der frühere Bio-Legehennenhof bietet nicht nur den ehemaligen Hoftieren, sondern auch geretteten Tieren ein liebevolles Zuhause. Die RISE-Analyse soll den Betreibern für die Weiterentwicklung ihrer Vision hilfreich sein.