«Das meiste ist angelernt»
An Heimtieren haftet zu Unrecht das Stigma, Probleme zu machen, glaubt der Verhaltensforscher Dennis C. Turner. Verhielten sich Hunde oder Katzen auffällig, liege das meist an ihren Halter:innen. Mit ihm darüber gesprochen hat Monica Müller.
Kommen Verhaltensauffälligkeiten bei Heimtieren häufiger vor?
«Dieses Vorurteil hält sich hartnäckig, ist aber nicht gerechtfertigt. Man darf nicht vergessen, warum Haustiere im Tierheim landen. Die Gründe sind äusserst vielfältig: Halter:innen erkranken oder sterben. Paare trennen oder scheiden sich, eine Familie zieht in eine Wohnung um, wo Haustiere nicht erlaubt sind. Manchmal muss auch die Tierschutzbehörde oder das Veterinäramt eingreifen und die Tiere beschlagnahmen. Bei Tiersammelsucht beispielsweise, wenn also jemand dreissig Katzen oder fünfzehn Hunde in der Wohnung hortet. Längst nicht alle diese Beispiele können zu Verhaltensauffälligkeiten führen.»
Weshalb hält sich Ihrer Meinung nach dieses Vorurteil so hartnäckig?
«Da verhaltensauffällige Hunde und Katzen schwer zu platzieren sind, bleiben sie länger in den Tierheimen. Weil sie Plätze blockieren, müssen Tierheime in England beispielsweise per Gesetz mit qualifizierten Verhaltensspezialist:innen zusammenarbeiten. Sie behandeln die Tiere – mit Erfolg.»
Wie gehen sie dabei vor?
«Mit klassischen Methoden wie Desensibilisierung und Konditionierung und Gegenkonditionierung. Fast alle Methoden basieren auf der Lerntheorie.»
Angenommen, ein Hund bellt übermässig und verhält sich aggressiv. Wie könnte so eine Therapie aussehen?
«Es braucht eine genaue Verhaltensanalyse zuhause beim Hund. Hier sollte man sich von Verhaltensmediziner:innen – also von Tierärzt:innen, die speziell ausgebildet sind in Verhaltensmedizin – oder von Tierpsycholog:innen beraten lassen. Man muss verstehen, was die Auslöser für das Verhalten des Hundes sind. Ich gebe ungern die Methoden bekannt. Wenn es Halter:innen falsch verstehen oder nicht genau befolgen, wird es schlimmer.»
Sie haben vorhin bemerkt, dass häufig nicht der Hund das Problem sei. Was sind denn die häufigsten Fehler von Halter:innen?
«Die meisten Verhaltensauffälligkeiten von Hunden und Katzen sind angelernt. Halter:innen belohnen ihre Haustiere unbeabsichtigt mit Aufmerksamkeit, wenn sich diese unerwünscht verhalten. Schimpfen sie mit ihrem Hund oder ihrer Katze, so erhalten diese auch Aufmerksamkeit. Dann haben die Haustiere ihr Ziel erreicht und werden sich wieder gleich verhalten. Angelerntes Verhalten lässt sich nur allmählich auflösen. Dafür braucht es viel Zeit und Geduld.»
Die Halter:innen sind also zu wenig konsequent?
«Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Manche Katzen lecken bei ihren Halter:innen an der Innenseite des Ellbogens, wenn sie auf ihrem Schoss sitzen. Es gibt Leute, die das mögen, andere irritiert es. Wer will, dass die Katze damit aufhört, muss konsequent sein. Die Katze auf den Boden stellen, in ein anderes Zimmer gehen, nicht schimpfen. Immer genau so. Es nicht einmal lustig finden, einmal geniessen und denken «ach, sie hat mich so gern». Es braucht eine faire Konsequenz.»
Was ist schwieriger, einen Hund, eine Katze oder ein Kind zu erziehen?
«Wenn ich ehrlich bin, hat meine Frau unsere Kinder erzogen, ich war häufig weg. Aber ich würde sagen: Unsere Katzen haben wir kaum erzogen, wir haben ihnen einfach Auslauf gegeben und sie in Ruhe gelassen. Einen Hund zu erziehen ist etwa gleich aufwändig wie ein fünfjähriges Kind zu erziehen.»
Zum Schluss: Was braucht es, damit die Adoption eines Haustiers gelingt?
«Zukünftige Halter:innen müssen sich bei den Tierpfleger:innen genau über die Tiere informieren. Denn sie kennen deren Persönlichkeiten und Gewohnheiten am besten und geben ehrlich Auskunft. Taucht ein Problem auf, sollten die Halter:innen nicht mit Aufmerksamkeit reagieren, sondern professionelle Beratung aufsuchen. Sie sollten aber auch nicht erwarten, dass ein Tier aus dem Tierheim automatisch Probleme bereitet. Unglaublich viele Tiere, die auf ein neues Zuhause warten, sind problemlos und einfach nur liebenswert.»
DENNIS C. TURNER
Katzenexperte
Dennis C. Turner ist ein schweizerisch-amerikanischer Verhaltensforscher, der insbesondere die Beziehung des Menschen zur Hauskatze erforscht.
Er studierte Biologie an der San Diego State University und der Johns Hopkins University und doktorierte zum Jagdverhalten von Vampirfledermäusen in Costa Rica. An der Universität Zürich erforschte er zuerst Wildtiere, später leitete er den Bereich der Heimtierethologie innerhalb der Verhaltensbiologie. Turner begann sich als einer der ersten für das Verhalten von Katzen zu interessieren und veröffentlichte über die Jahre diverse populärwissenschaftliche Bücher über sie. 1991 gründete er ein Institut für angewandte Ethologie und Tierpsychologie.
Fachpersonen erforschten dort das Verhalten von domestizierten Tieren, allen voran Katzen und Hunden, die Beziehungen zwischen Menschen und Tieren und deren Konsequenzen für die Gesundheit und das Wohlbefinden beider.
Dennis C. Turner engagiert sich auch mit 76 Jahren noch für tiergestützte Therapien und ist ein gefragter Experte: www.turner-iet.ch