Eine grosse Familie
Auf dem Hof «Vaikuntha» leben Pferde, Kühe, Schafe, Ziegen, Alpakas, Hühner, Truten und Kaninchen in idyllischer Umgebung. Er ist einer der 17 Lebens- und Gnadenhöfe, die ihre Stalltüren im September anlässlich der Hoftage für Interessierte geöffnet haben.

«Flora!», ruft eine Frau freudig, und kauert sich neben den Hühnerstall. Flora, ein stattliches Huhn, neigt ihren Kopf leicht zur Seite und lässt sich bereitwillig streicheln und knuddeln. Die beiden kennen sich noch aus der Zeit, als Carmen auf dem Hof ein Praktikum absolvierte. An diesem sonnigen Samstag im September besuchen weitere Tierfreund:innen den Hof «Vaikuntha», sie haben sich im Rahmen der Hoftage für eine Führung angemeldet. Auf dieser wird schnell klar, dass jedes Tier hier eine Geschichte und eine Persönlichkeit hat. Allen gemeinsam ist, dass sie getötet worden wären, hätten Franziska und Daniel Schmid sie nicht gerettet. Deshalb bedeutet «Vaikuntha» ein Ort ohne Angst.

«Die Tiere auf unserem Hof verstehen wir als Botschafter für alle anderen, die weniger Glück haben und geschlachtet werden.»

Nebst Flora sind auch Valentina, Romana, Luna, Nova, Trixi, Felicitas, Ida, Georgette, Perla, Viola, Xenia, Odette, Flavia, Wanda, Camilla, Mirella, Blacky, Schecki und Lotta ausgemusterte Legehühner. Sie wurden speziell für die Eierproduktion gezüchtet. Mit etwa 1,5 Jahren kommen die Hühner in die erste Mauser und produzieren weniger Eier, weil ihre ganze Kraft in die Erneuerung ihres Gefieders fliesst, wie Franziska Schmid erklärt. Das rentiere für die Produzierenden nicht, weshalb sie die Hühner dann töteten.
Flora und Co. ist dieses Schicksal erspart worden. Einige von ihnen legen noch Eier, die grösser oder kleiner sind als zuvor. Diese verkaufen Daniel und Franziska Schmid in einem Bioladen in Lenzburg. Auf ihrem Hof bieten sie von Juli bis etwa Ende Oktober saisonales Bio-Gemüse in einem Selbstbedienungsladen an.
Die Herren im Stall sind altershalber geschwächt: Hahn Samson wird immer kraftloser, Truthahn Calimero hat wegen einer Gelenkentzündung Bettruhe. Wer will, darf die vorwitzigen Hühner füttern. Die Kleinsten sind auch die Mutigsten in der Gruppe: Unerschrocken strecken einige Kinder ihre Händchen aus und lassen die Hühner darin Körner picken.
Neben dem Hühnerstall befinden sich die zwei Pferde Sophie und Nandi. Sophie ist eine ausgemusterte Zuchtstute, die für ihren Besitzer den Wert verlor, als sie nicht mehr trächtig wurde. Nandi machte Probleme, biss, schlug um sich, riss sich los. Hier hat er sich gut entwickelt: «Er hat viel Power, ist aber umgänglich », erzählt Franziska.
Die Alpakas sind keine traditionellen Nutztiere, aber sie waren als Trekkingtiere eingespannt. Dorjana ist mit ihren 19 Jahren zu alt dafür geworden, Laddu war zu klein und kränklich fürs Business. Neugierig mustern die sieben Alpakas die Gäste und lassen sich von ihnen streicheln und mit Pellets füttern. Niemand muss sich fürchten, angespuckt zu werden, sagt Franziska. «Unsere Alpakas spucken sich nur untereinander an, wenn sie futterneidig sind.»
Bei den Schafen bittet Franziska die Gäste um Vorsicht, denn die Tiere seien bis zu 100 Kilo schwer und so könnte es weh tun, wenn sie mit ihren Klauen jemandem auf die Füsse treten. Interessiert traben sie zur Gruppe und lassen sich knuddeln. Burschti ist der älteste, er wurde 2010 geboren und Franziska und Daniel Schmid konnten ihn als Lamm vor der Tötung bewahren. Jetzt sei er schon alt in Schafsjahren und etwas klapprig.
«Ihr Fell ist ja voll weich!», ruft der 13-jährige Marius. Sie seien frisch geschoren, erklärt Franziska, dann liessen sie sich besonders gerne streicheln. Die Schafe können sich frei bewegen. Im Sommer sind sie tagsüber gerne im Stall und wenn es kühler wird, halten sie sich auf der Weide auf.
Dort grasen bereits die Kühe Mohini, Gopi, Aruni sowie Yamuna und Gopal. Yamuna hat Gopal 2023 hier geboren. Franziska erzählt, wie schön es gewesen sei, auf dem Hof eine Geburt zu erleben. Denn dies ist eine Seltenheit hier: Alle Tiere werden kastriert, da sich ihre Zahl sonst innerhalb eines Jahres verdoppeln würde und man dann keine Tiere in Not mehr aufnehmen könnte.
Gopal ist ein Ochse, ein kastrierter Stier. «Er wird sehr gross werden», sagt Franziska, bereits jetzt messe er 1,5 Meter auf Schulterhöhe. Gopal sei trotz seiner stattlichen Grösse ein richtiges Muttersöhnchen und würde am liebsten noch bei seiner Mutter trinken. Die beiden sind immer nahe beieinander. «Gopal ist auch ein Schlingel», immer wieder finde er Wege aus dem Gehege.

«Am liebsten würden Franziska und Daniel alle Tiere retten, aber das geht nicht wegen dem Platz und dem Geld», erklärt ein Nachbarsmädchen, das viel Zeit auf dem Hof verbringt. Franziska lächelt sie an und erzählt, dass sie täglich angefragt würden, ob sie noch Tiere platzieren könnten. Anfragen reichten vom Meerschweinchen bis zum Seehund. «Absagen zu müssen ist das Schlimmste», sagt Franziska. Bedeute das doch für die Tiere oft ihr Todesurteil.
«Die Tiere auf unserem Hof verstehen wir als Botschafter für alle anderen, die weniger Glück haben und geschlachtet werden», erklärt Franziska den Besuchenden. Diese haben die Begegnungen mit den Tieren genossen und tauschen sich noch aus bei einem veganen Curry. Sino, dessen Eltern auf dem Hof jeweils ihr Gemüse kaufen, wusste nicht, dass die Tiere hier alle ausgemustert wurden. «Schön, erhalten sie hier eine zweite oder dritte Chance.» Eine ältere Frau ergänzt: «Das hier zu sehen tut Geist und Herz gut.»
Carmen erinnert sich noch gut an eine abenteuerliche Geschichte aus ihrer Zeit als Praktikantin auf dem Hof. Eines Morgens waren plötzlich alle Tiere weg, erzählt sie der Runde. Die Stalltüre war offen und eine «Gaggi-Spur» führte ins nahe Villenviertel. Dort waren einige Büsche angeknabbert. Die Spuren lotsten sie zum Waldrand, wo alle ihre Tiere wie parkiert standen – und sich offensichtlich freuten, ihre Halter:innen wieder zu sehen und nach Hause gebracht zu werden. Franziska und Daniel vermuten, dass Geissli Hari der Rädelsführer war.
Eine weitere charmante Story erlebten sie mit einem Truthuhn, das ein Hühnerei ausbrütete. Als «Bibibi» schlüpfte, zog das Truthuhn es auf und liess es auf seinem Rücken reiten. Hari und Bibibi sind mittlerweile eines natürlichen Todes gestorben – aber noch immer erinnert man sich auf dem Hof an sie.
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